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Martin Pietzsch, der Architekt des Künstlerhauses

Martin Pietzsch, der Architekt des Künstlerhauses Carl Richard Martin Pietzsch wurde am 16. Januar 1866 in Blasewitz bei Dresden geboren. Sein Vater Dr. Richard Pietzsch (1836-1876) war Lehrer und leitete in Blasewitz eine private Bildungsanstalt.

Nach Schulbesuch und einer Zimmermannslehre besuchte Martin Pietzsch in Buxtehude bei Hamburg das Technikum, das er mit einem Abschluß als Baumeister beendete. Es schlossen sich Praktika in Baubüros in Mainz und Dresden an sowie ab 1886 Vorkurse an der Dresdner Akademie (u.a. bei Friedrich Preller d.J.). 1888-91 studierte Pietzsch dort als Meisterschüler bei Constantin Lipsius. Das Architekturstudium schloß er preisgekrönt ab. Danach war er an verschiedenen Architekturbüros in München tätig, u.a. bei Max Littmann (seit 1892 Heilmann & Littmann); 1892-94 arbeitete er in Budapest für das Büro des deutschstämmigen Arthur Meinig. Es schloß sich eine halbjährige Italienreise an, die Pietzsch nach Venedig, Rom, Capri, Siena und Florenz führte. Diese zum großen Teil zu Fuß absolvierte Tour prägte ihn tief, insbesondere die malerische Architektur Venetiens.

Nach seiner Rückkehr nach Dresden heiratete Pietzsch Fanny Clauss (1866-1945) und gründete (1895) ein Büro für Architektur und Bauausführung in Blasewitz. Nach einigen Villenbauten in Blasewitz, die noch ein Suchen nach einem eigenen Stil, verbunden mit gotisierenden Elementen zeigen, konnte er mit dem Künstlerhaus in Loschwitz (1897 begonnen) einen bedeutenden Bau verwirklichen, der sowohl eine typologische Neuheit in Sachsen (Ateliers und Wohnungen für 18 Künstler waren in einem Haus vereinigt), als auch durch seine z.T. funktionale, z.T. monumental-malerische Gestaltung stilistisch ein bedeutendes Werk der Reformbaukunst war.

In den Villen- und Wohnhausbauten in Loschwitz und der Albertstadt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg verfolgte Pietzsch eine moderne stilistische Richtung, d.h. z.B. eine eigenständige, zurückhaltende Dekoration der Baukörper (auch in der Innenraumgestaltung!), die sich weder am Jugendstil der Jahrhundertwende noch am Späthistorismus des späten 19. Jahrhunderts angelehnte. Beispiele für diesen Reformstil sind z.B. die Villa Grumbt (1906-07) und die landhausartige Villa Ehlert (1908-09), beide im Dresdner Waldschlößchenviertel gelegen. Mit diesen und ähnlichen Bauten schuf Pietzsch Werke, die sich stilistisch mit denen bekannter Dresdner Architekten wie Schilling & Gräbner, Lossow & Kühne und Fritz Schumacher vergleichen lassen. Auch technisch-funktional waren seine Bauten modern, sie besaßen Etagenheizung, elektrisches Licht und WCs.

Martin Pietzsch baute in einem Zeitraum von 1895 bis 1936, fast ausschließlich in Dresden-Loschwitz, Dresden-Blasewitz und Dresden-Neustadt, 26 Wohnhäuser und Villen. Hinzu kamen Gaststätten wie die Anfang der 1970-er Jahre abgerissene „Loschwitzhöhe“ (1902) und mehrere Innenraumgestaltungen im öffentlichen Bereich (Ausstellungsarchitektur, Varietés), außerdem das Elektrizitätswerk der Loschwitzer Standseilbahn (1909). Auch an Wettbewerben nahm er teil. Er entwarf auch das Körner-Schiller-Denkmal in Loschwitz (1912) und gestaltete Grabanlagen, so für die Bankiersfamilie Arnhold auf dem Jüdischen Friedhof.

Bedeutsam wurde Pietzsch aber auch als Kinoarchitekt. 1913 eröffnete in Dresden das von ihm entworfene Union-Theater (U.T.-Lichtspiele), ein Kinopalast mit 1000 Plätzen, einem Orchestergraben für 25 Musiker und einer innovativen Beleuchtung des hufeisenförmigen Zuschauersaales und einem gestuften Proszeniumbereich. Nach dem Ersten Weltkrieg baute er dann in Dresden weitere fünf Kinos (z.T. Umbauten), auch außerhalb Dresdens war er auf dem Gebiet gefragt (Um- und Neubauten in Görlitz, Zittau, Bad Liebenwerda).

Das größte Projekt war das Kino Capitol (1925), gleichzeitig Dresdens größtes Kino mit 2250 Sitzen. Hier wie auch an der 1927 eröffneten Schauburg verwendete Pietzsch expressionistische Stilelemente (besonders in den Stuckapplikationen und der Orgelverkleidung) und indirekte Beleuchtung.

Pietzschs große Dresdner Kinos wurden im Februar 1945 zerstört. Die Schauburg, deren massiger, fensterloser Baukörper eine wichtige Rolle im Straßenbild spielt, blieb unversehrt, wurde nach dem Krieg umgestaltet und blieb bis zur Eröffnung des Filmtheaters Prager Straße (Rundkino) Dresdens wichtigstes und größtes Premierenkino.

Martin Pietzsch kann als Vertreter der Reformarchitektur angesehen werden, der anfangs teilweise schwankend zwischen Jugendstilelementen, Monumentalformen, Sezessionstil, Landhausstil, puristischen Zügen, und selbst klassizistischen Motiven, seinen Weg suchte. Seine Bedeutung liegt vor allem in seinen großen Kinobauten, die eigenständig und modern konzipiert waren.

Pietzsch war Mitglied der Dresdner Kunstgenossenschaft und des Bundes Deutscher Architekten (BDA), für den er in den 1920-er und frühen 1930-er Jahren auch Funktionen übernahm (Mitglied im Landesvorstand, Ortsgruppenvorsitz Dresden). Außerdem war er im Loschwitzer Gemeinderat und im Loschwitzer Heimatverein tätig. In den späten 1930-er Jahren bildete sich um P. ein privater Kollegenkreis befreundeter Architekten, der auch nach dem Krieg fortbestand. Mitglieder im „Martin Pietzsch-Kreis“ waren u.a. Emil Högg und Fritz Steudtner.

Mit seiner Frau Fanny hatte Pietzsch vier Kinder: Hertha, Eva, Claus und Sibylle. Sohn Claus fiel im Zweiten Weltkrieg. Die älteste Tochter Hertha lebte nach der Trennung von Ehemann Ernst Steude mit ihren Kindern Barbara und Wolfram wieder im kleinen Künstlerhaus, wo sie im August 1980 starb.

Eva Pietzsch führte ein Modegeschäft in München. Sie war bis zu ihrem Tod im Januar 1981 aktiv im Förderkreis „Freunde junger Kunst“ in München tätig, den sie mit aufgebaut hatte und wesentlich prägte.

Die jüngste Tochter Sibylle heiratete in zweiter Ehe den Bauhaus-Künstler Laszlo Moholy-Nagy. Sie emigrierte mit ihm in die USA, wo sie nach dem Tod ihres Mannes (1946) lange Jahre an verschiedenen Universitäten Architekturgeschichte lehrte. Sie besuchte ihren Vater einige Male in den 1950-er Jahren in Dresden.

Martin Pietzsch starb hochbetagt am 5. Februar 1961 im Kleinen Künstlerhaus in Dresden-Loschwitz. Auf dem Friedhof gegenüber ist er begraben.



Werke (Auswahl)
1) Wohnhausbauten, Villen u.ä.:
- Künstlerhaus Loschwitz (1897-98, 1904-05), Dresden-Loschwitz, Pillnitzer Landstraße 59;
- Villa Barthel (1904), Dresden-Blasewitz, Wägnerstraße 8;
- Villa Grumbt (1906-07), Dresden-Neustadt, Charlottenstraße 34;
- Villa Oskar Ehlert (1908-09), Dresden-Neustadt, Angelikastraße 4;
- Einfamilienhaus Dr. Eckarti (1927), Dresden, Comeniusstraße 107.

2) Kinos:
- U.T. – Lichtspiele (1912-13), Dresden, Waisenhausstraße 21-22 (1945 ausgebrannt, Ruine 1961 abgerissen);
- Capitol (1925), Dresden, Prager Straße 31 (1945 zerstört);
- Gloria-Palast (1926), Dresden, Schandauer Straße 11 (1945 zerstört);
- Theater am Bischofsplatz (T.B.) (1926), Dresden, Bischofsplatz 4 (verfallen);
- Schauburg (1927), Dresden, Königsbrücker Straße 55;
- Kronenlichtspiele (Neugestaltung, 1928), Zittau, Äußere Weberstraße 17 (außer Betrieb);
- Faunpalast (Umbau, 1929), Dresden, Leipziger Straße 76 (Abriß 2005);
- Umgestaltung der Schauburg (heute UFA-Palasttheater) (um 1930), Görlitz, Jakobstraße 16 (die von P. geschaffene Innengestaltung z.T. erhalten);
- Capitol (1937), Bad Liebenwerda, Dresdner Straße 3 (außer Betrieb).

Quellen (Auswahl)
Stadtarchiv Dresden:
- Bau- und Grundstücksakten der Gemeinde Loschwitz;
- Baupolizeiakten Stadt Dresden, Bau- und Grundstücksakten der Stadt Dresden, Bauakten der Königlichen Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt (ab November 1918: Amtshauptmannschaft Dresden-Neustadt);
- Privatarchiv Familie Steude, Dresden (Nachlaß Martin Pietzsch).

Literatur (Auswahl)
- Architektonische Studien-Arbeiten aus dem akademischen Atelier von Constantin Lipsius.
- Ausgewählt von Paul Wallot. Dresden, 1898;
- Architektenmappe. Skizzen und Reisestudien von Martin Pietzsch. Dresden, 1901;
- Ausgeführte Bauten und Entwürfe, Raumkunst und Kunstgewerbe von Architekt B.D.A. Martin Pietzsch Dresden-Loschwitz, Künstlerhaus. Berlin, o.J. (1921);
- Martin Pietzsch, Architekt B.D.A. Künstlerhaus Dresden-Loschwitz 1921-1926. Berlin, o.J.;
- Paul Zucker: Theater und Lichtspielhäuser. Berlin, 1926;
- Heinz Fiedler: Vom „Kintopp“ zum modernen Lichtspielhaus. In: Stadtmuseum Dresden (Hg.): Dresdner Geschichtsbuch I. Altenburg, 1995, S. 151-169;
- Wolfram Steude: Der Erbauer des Künstlerhauses, Martin Pietzsch als Mensch und Künstler. In: Stadtmuseum Dresden (Hg.): 100 Jahre Künstlerhaus Dresden-Loschwitz 1898-1998 , S. 7-24;
- Gernot Klatte: Der Dresdner Architekt Martin Pietzsch. Magisterarbeit TU Dresden, 2002.


Die Verbindung der heutigen familiären Eigentümergemeinschaft zu dem Haus ist auf vielfältige Weise gewachsen. Mit seiner Familie im sogenannten „Kleinen Künstlerhaus“ lebend, versuchte vor allem der Enkel des Architekten Pietzsch – Prof. Dr. Wolfram Steude – oft unter widrigen Bedingungen die Substanz des Künstler-Refugiums zu erhalten und den Idealen des Erbauers treu zu bleiben.

Bis auf eine Zeitspanne zwischen Mitte der siebziger bis zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als das Künstlerhaus in den Besitz der Stadt Dresden abgegeben werden musste, gelang dies auch. Auf die Rückgabe folgte eine umfassende Sanierung.

Nach dem Tod Wolfram Steudes im März 2006 ist nun die Generation der Urenkel, Maria Schmidt, Annegret Claußnitzer, Martin und Jürgen Steude in der Pflicht, dieses Erbe weiterzuentwickeln, es zu erhalten und zu betreuen. Auch wenn politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen positiv verändert sind, bleibt die Aufgabe anspruchsvoll und herausfordernd. Gewachsenen Freiheiten und Möglichkeiten einerseits stehen andererseits Gefahren wie die Abwertung und Verflachung von Idealen, die Unterordnung der Kunst unter rein materielle Aspekte und der Verlust des einmaligen Profils gegenüber.

Heute wie damals leben und arbeiten Künstler unterschiedlichster Prägungen im Künstlerhaus Dresden-Loschwitz. Dieses Haus mit seiner über 100-jährigen Geschichte bereichert die deutsche Kulturlandschaft und seine Bewohner beleben mit ihren Arbeiten nicht nur die sächsische Kunstszene. Weit über Landes- und Bundesgrenzen hinaus reicht die Ausstrahlung so manchen künstlerischen Gesamtwerkes.

In diesem Sinne verdient das Haus in seiner Einmaligkeit und das vielfältige Schaffen der Künstler Aufmerksamkeit und Interesse.

Für die Urenkel: Anne Claußnitzer